Es ist das Jahr 1986.
Der deutsche Bundeskanzler heißt noch Helmut Kohl, das Automobil wird 100 Jahre alt, Boris Becker gewinnt erstmals das Tennisturnier von Wimbledon, die beiden erfolgreichsten deutschen Filme sind „Der Name der Rose“ und Doris Dörries „Männer“; im Fernsehen kracht der Außerirdische ALF in die Garage der Familie Tanner, Lindsay Lohan wird geboren, Madonna hat ihren ersten Welthit mit „Like A Prayer“, im deutschen TV laufen „Kir Royal“ und „Die Wicherts von nebenan“. In diesem Jahr kommt es auch zur Reaktorkatstrophe von Tschernobyl, und der Explosion der Raumfähre Challenger, die, wie wir heute wissen, vorhersehbar war.
Das Handy ist noch nicht entwickelt, der Normalbürger verfügt nur über einen Festnetzanschluß, Das Internet existiert in seiner heutigen Form noch nicht, in kaum einem Haushalt steht ein PC, Menschen tippen noch auf Schreibmaschinen, die Videokassette hat ihren Vormarsch gerade erst begonnen, Der klobige Röhrenfernseher dominiert, Flat Screen und DVDs sind noch nicht einmal Zukunftsmusik.
Die Welt ist noch nicht virtuell durchströmt.
Kinder spielen noch mehrheitlich nicht-elektronische Spiele.
Und sie hören Hörspielkassetten.....
Es ist die Zeit der Kassettenkinder.
Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg dominieren in den Kinderzimmern ebenso wie Die Funk Füchse, Jan Tenner, Masters Of The Universe, Larry Brent, die Gruselserie von H.G. Francis oder die Pumucklhörspiele zur Fernsehserie. Den Hörspielmarkt der Mittachziger bestimmen aber vor allem Kinder- und Jugendkrimis, und hier wiederum die Produkte des Labels Europa: Enid Blytons „Fünf Freunde“ mit den Originalstimmen der 70iger-Jahre TV Serie, TKKG und – natürlich – „Die drei ???“. Sie sind absolute Renner, in den Originalabmischungen veredelt durch die Hintergrundmusiken von Carsten Bohn und Phil Moss. Für Europa hagelt es Gold – und Platinschallplatten.
1986 holt das Label Karussell, Hauptkonkurrent von Europa, und schon seit den 70igern im Bereich der Kinder- und Jugendhörspiele aktiv (v.a. mit Adaptionen von Abenteuerklassikern und Enid-Blyton-Bearbeitungen wie „Die schwarze Sieben“ und „Geheimnis um….“) zu einem fulminanten Gegenschlag aus.
Mit der Hörspiel – Serie „Scotland Yard“, ihres Zeichens die erste solche Produktion die auf einem Brettspiel basiert. In dem Brettspiel von Ravensburger, 1983 ausgezeichnet als „Spiel des Jahres“, geht es darum, dass eine Gruppe von Spielern zusammenarbeitet und einen Einzelspieler (Mister X) auf dem Spielbrett, das einen simplifizierten Stadtplan von London darstellt, dessen Knotenpunkte mit Codenummern versehen sind, taktisch und strategisch geschickt verfolgt, einkreist und stellt.
Kann man aus diesem Konzept eine Hörspielserie machen?
Wolfgang Pauls konnte es.
Er erfand die Drillinge Betty, Benny und Buck Buff, die nach dem Unfalltod ihrer Eltern bei ihrem Onkel, Scotland Yard Inspector Mac Macintosh leben, und immer wieder auf Verbrechen stoßen, deren Urheber sie dann mit eben jenem Code-Stadtplan durch London verfolgen.
Schon das Intro führt uns rasant ein. Über der Titelmusik hört man, für viele junge Hörer damals zunächst irritierend, folgenden Text:
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Big Ben schlägt volle Stunde
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(treibende Musik setzt ein)
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Mac Macintosh (durchs Megaphon) |
Hier spricht Inspector Macintosh von Scotland Yard! Hier spricht Inspector Macintosh von Scotland Yard! |
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(Schüsse)
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Mac Macintosh (durchs Megaphon) |
Geben sie auf! Sie sind umstellt!
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Betty |
Kein Sorge, Onkel Mac… |
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Benny |
Er hat nur noch drei Schuß…. |
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(Schüsse)
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Buck |
….. und außerdem |
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Betty |
…ist er… |
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Benny |
Im Keller eingeschlossen. |
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(letzter Schuss)
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Mac Macintosh |
Beim ausgestopften Wüstenfloh! Betty, Benny und Buck – wollt ihr etwa behaupten, ihr habt den Kerl schon geschnappt?
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Benny |
Na logisch,… |
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Buck |
….. schließlich heißen wir Buff! |
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Benny |
Buff ! |
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Betty |
Buff ! |
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Zwischen 1986 und 1989 entstanden 29 Folgen, die durchaus auch kommerziell sehr erfolgreich waren, und deren Besetzungsliste sich wie ein Who is Who der creme de la creme deutscher Sprecher liest. Allein der Hauptcast mit Anika Pages, Sascha Draeger, Christian Stark, Freddy Quinn und Gerda Maria Jürgens war ein Knaller, von den Gastsprechern gar nicht erst zu reden. Dennoch wurde die Serie nie so bekannt wie die Konkurrenzprodukte von Europa, trotzdem ist sie bis heute ein Geheimtipp unter Hörspielfreunden und –sammlern. Nicht ohne Grund, denn „Scotland Yard“ überragte ähnliche Jugendkrimiserien, auch Bekanntere, qualitativ um Längen, setzte Standards. Der Grund waren ihre Alleinstellungsmerkmale:
Bessere Figuren: Klischees werden, außer bei einigen schrillen Nebenfiguren, bewusst vermieden. Buck ist zwar ängstlicher, hat aber auch oft Recht mit seiner Angst, und ist mit Stärken versehen. Er ist nie ein nutzloser Totaldepp wie „Klößchen“ in TKKG. Benny andererseits ist eine viel gebrochenere, realere Figur als jener Tim/Tarzan den Draeger auch noch spricht, diese Figur fällt durchaus auch einmal auf die Schnauze. Mit Betty Buff ferner, wird einem endlich mal eine gute, starke, toughe, reale Mädchenfigur in einem Jugendkrimi geboten, die nicht ständig von Jungs gerettet werden muss, und auch was zu sagen hat. Pages konnte hier durchaus erheblich Bandbreite zeigen. Kein Vergleich etwa mit der klischeehaften „Gaby Glockner“ Rolle, in der eine hochbegabte Sprecherin wie Veronika Neugebauer als Stichwortgeberin verschwendet wurde.
Kreativere Geschichten: Wolfgang Pauls gab sich sichtlich Mühe stets neue, interessante Geschichten und ungewöhnliche Handlungsverläufe zu finden, und nicht ständig die ewiggleiche Schmuggler/Dealer/Räuber Nummer abzuziehen. Er experimentierte zum Teil auch mit Erzählformen etwa in „Die Westminster-Million“ wo weite Teile als Rückblende konzipiert sind.
Erst Ende der 80iger Jahre, als der Markt für Kinder- und Jugendhörspiele vorübergehend einbrach, gingen die Verkaufszahlen soweit zurück, dass man „Scotland Yard“ leider einstellen mußte, deutlich vor Ablauf des Verfallsdatums, sozusagen.
Heute, 30 Jahre später, soll diese Website die Erinnerung an die glänzende Serie, die mittlerweile als CD wieder verfügbar ist, wachhalten damit eine neue Generation von Hörern weiß, dass es sie gegeben hat.